Die Schlucht für Äsop

Die Schlucht für Äsop

von Natalia Kuschnerova (ins Deutsche übersetzt von Maxim Kuschnerov)

„…und dies konnte lediglich an einem Freitag dem dreizehnten passieren, wenn am Horizont der Vollmond auf Jupiter und Saturn trifft, was nur einmal in zweitausend Jahren geschah, und ausgerechnet mir, lodernd im Kreuzfeuer der zwölf Geschworenen und meines Anwalts, einer Kanaille, die mir am meisten den Tod wünschte…“ [Probetext weiterlesen]

Kritik von KONSTANTIN RODIK, Chefredakteur des Magazins «Knyzhnyk-review», exklusiv für die Zeitschrift «Den´»:
„Über Kater und anderes Vieh

Dieses Werk ist äußerst exklusiv und hat zugleich den wunderbaren Geruch der Tradition und es kann, trotz aller flüchtigen Anspielungen, mit keinem bekannten Schriftsteller verwechselt werden.
In «Äsop» ist die Alltäglichkeit zur Feerie umgewandelt, die Tragödie wird mit dem romantischen Flor eingehüllt und die unermüdliche weibliche Natur wickelt das Suchen nach Wahrheit in einen kriminellen Stoff ein.
All das ist wahr – aber Sie brauchen nicht zu denken, dass auf Sie ein kultiviert-veredeltes pulp fiction wartet. Denn während Sie diese, wie Kondensmilch ergötzend-träge Sprache genießen, geraten Sie in dieselbe Falle, in die der Protagonist geriet: «Wozu zum Geier brauchte ich diese Wahrheit zu erfahren, diese stinkende und giftige Brühe?»
Und wissen Sie worum geht es? Um die Entität der Frau, zu lernen, was für Männer überlebenswichtig ist — weil sie nicht in der Lage sind, die Welt wie Frauen mit ihren Sinnen wahrzunehmen, sondern jenes Phänomen brauchen, bevor sie es runterschlucken und in einen wörtlich-logischen Umschlag einwickeln. Das ganze Problem liegt in der Rezeptur solcher verbalen Schutzschichten, und hier hat der Erzähler von «Äsop» (klar, ein Mann) mit Stoßfestigkeit zu tun: «Diese Manie jedes Ereignis mit einem Wort beschreiben zu müssen, wie ein Entomologe, der versucht, möglichst viele Käfer und Schmetterlinge in seinem Schaukasten aufzuspießen, für Alina eine abscheuliche Tierquälerei, da man im alltäglichen Leben immer wissen müsste, wo die Grenze der Offenheit zu ziehen sei, und die Wahrheit, über welche man schweigen müsse, sei unermesslicher, als jene ersichtliche Wahrheit, über die man spreche». Die Fabel, die sich unter solchen Bedingungen abspielt, erschafft selber eine Detektivhandlung.
Man kann sich «Äsop» als ein Geplauder zwischen Kafka, Bulgakow und Agatha Christie vorstellen (wobei die letzte in der ukrainischen Tracht unter einem dementsprechend passenderen Volksnamen zu sein scheint).
Also: die Beteiligten scheinen beim Verfassen des Lebensbildes ein solch, laut Definition, passiv Marginales zu spielen, dass nach dem Erhalten des Beschlusses über die Zwangsausweisung aus der Hütte irgendwo in der bayerischen Provinz, sie anfangen, sich mit der biblischen Frage zu beschäftigen: «Warum werde ich aus dem Paradies vertrieben?» Dieses, nach dem Ausdruck von Lawrence, «zu der Größe eines erwachsenen Mannes ausgewachsene Kind », fühlt sich perverser Weise als Halbmensch-Halbkater — etwa wie eine Mischung zwischen Gregor Samsa aus der «Verwandlung», dem Kater Behemoth aus «Der Meister und Margarita» und dem katzenähnlichen Monsieur Poirots. Und obgleich diese Person «immer als Kater aufwachte und sich damit nie abfinden konnte », aber gleichzeitig dachte: « Je mehr ich über diese Frage nachdenke, desto mehr lockt sie mich an. Ich muss nur die Veterinärbescheinigung bekommen, in der schwarz auf weiß steht – Kater, wie sich sogleich ungeahnte Möglichkeiten vor mir eröffnen und meine Pflichten der Gesellschaft gegenüber wegfallen. Völlige Straflosigkeit – folglich völlige Freiheit».
Diese Verdoppelung der Persönlichkeit ist durch seine Sozialisierung in die… weibliche Welt verursacht. In der Tat, als was ist es angenehmer, die Gesellschaft zweier charmanter Frauen (wie in «Äsop») zu teilen — als ein Mann oder ein Kater? Denn hier ist es wie auf einem Mienenfeld: «eine bezaubernde Frau, die morgens die geringsten Gemütsschwankungen der komplizierten und schlecht analysierten männlichen Seele erkennt und fehlerlos eine Analyse aufstellen kann. Aber beachten Sie, dass ein Missbrauch der Zuwendung der bezaubernden Frau damit enden kann, diese Frau Ihnen genervt ein Giftglas reicht, denn die weibliche Seele lässt sich noch schlechter prognostizieren».
Und Kuschnerova selbst? «Ihr frostiger und spöttischer, ihr wunderbarer weiblicher Verstand stand daneben» (D. H. Lawrence).

– :
„Es ist schwer zu entscheiden, ob dieser Roman dem kriminellen Genre zugeordnet werden kann. Und obwohl dieses Genre in jüngster Zeit vielfältiger geworden ist, so ist es einem meisterhaft-verspielten, faszinierend-bizarren, eleganten, multidimensionalen Werk zu eng in diesem Rahmen. «Äsop» ist dieser seltene Fall, wenn man aus der ersten Zeile eine außergewöhnliche sprachliche Begabung erkennen kann – und diese Begeisterung bleibt bis zum letzten Wort erhalten, weil der Text unheimlich gut geschrieben ist.“



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